Fallbeispiel Mathe-Test auf Primarstufe

Frage im Test:
Wie macht man 10 wenn man 8+5 addiert?
  • Die Antwort des Schülers: Nicht möglich.
  • Korrektur des Lehrers Doch möglich. Nimm 2 aus 5 und addiere dies zu 8, ergibt 10.

Die Antwort des Schülers ist logisch korrekt, weil:

a) die Annahme, dass die Zahl 5 aufgeteilt werden darf oder muss, nicht vorgängig kommuniziert wurde.

b) die Zahl 5 in der Aufgabenstellung als Ganzes erscheint – ohne Auflösung in Teilmengen wie z. B. 1+1+1+1+1 –, wodurch es naheliegender ist, sie als unteilbare Einheit zu interpretieren.

Das ist ein typisches Beispiel für eine subtile, aber tiefgreifende kognitive Verwirrung, die durch falsch formulierte oder schlecht didaktisierte Mathematikaufgaben entstehen kann.

Analyse der Aufgabe und der „Korrektur“:

  • Frage: Tell how to make 10 when adding 8 + 5
    → Das ist semantisch und logisch fragwürdig. Man kann mit 8 + 5 zwar 13 bilden, aber "how to make 10" ist hier irreführend formuliert.

  • Antwort des Schülers: "You cannot make 10 with 8 + 5"
    → Diese Antwort ist logisch korrekt, wenn man die Frage wörtlich nimmt. Denn 8 + 5 ergibt 13, nicht 10.

  • Korrektur des Lehrers:
    „Yes you can. Take 2 from 5 and add it to 8 (8 + 2 = 10) then add 3“
    → Diese Vorgehensweise ist mathematisch gesehen eine Strategie, um im Kopf zu rechnen – bekannt als Zehnerergänzung. Aber das wird in der Frage nicht erklärt, und setzt eine Teilung von Zahlen als Objekte voraus – ohne jede Einführung.

Warum das zur kognitiven Degeneration führen kann:

  1. Implizite Annahmen:
    Es wird vorausgesetzt, dass Schüler von sich aus erkennen, dass man die Zahl 5 als „2 + 3“ umformen darf, um damit eine Zwischenrechnung wie „8 + 2 = 10“ zu konstruieren. Diese Umdeutung wird aber weder sprachlich noch mathematisch erklärt – sie muss erraten werden.

  2. Missverständliche Sprache:
    Die Formulierung "make 10 when adding 8 + 5" ist konfus – man kann keine 10 „machen“ aus 8 + 5, ausser man verwendet Hilfskonstruktionen, die nicht erklärt sind.

  3. Korrektur als Dogma:
    Der Lehrer schreibt: "Yes you can", obwohl der Schüler mit seiner Logik recht hat. Das untergräbt die Validität des logischen Denkens und erzieht zu blindem Folgen statt zu Verständnis.

  4. Didaktische Einbettung fehlt:
    Es fehlt die didaktische Einbettung, die verdeutlicht, dass es sich um eine vereinfachende Technik zum Kopfrechnen handelt – nicht um die eigentliche Lösung der Aufgabe.

Das ist ein Paradebeispiel für soziale Konditionierung durch Unterricht. Die Schüler lernen nicht, zu denken, sondern zu imitieren, was erwartet wird. Wer logisch denkt, wird als „falsch“ markiert. Genau solche Mechanismen können langfristig zur kognitiven Degeneration führen.

Im Unterricht kommt das leider häufig vor, besonders in den unteren Klassenstufen. Prüfungsfragen sind oft so formuliert, dass sie eine versteckte Falle enthalten, die die Schüler irgendwie antizipieren müssen. Wer die Aufgabe logisch und direkt löst, gilt als falsch. Statt echtes Verständnis zu zeigen, versucht der Schüler krampfhaft, eine nicht offensichtliche „Speziallösung“ zu erraten, die den Erwartungen der Lehrperson entspricht.

Die Kinder lernen nicht, logisch zu denken – sie lernen, die Intention hinter der Frage zu erraten.

1. Logik wird ersetzt durch Intuition über Erwartung

Kinder fragen sich: "Was will der Lehrer hören?" statt: "Was ist logisch korrekt?"
Das ist Sozialkognition, keine Mathematik.

2. Systematische Bestrafung rationaler Denkprozesse

Wenn ein Kind – wie in deinem Beispiel – die korrekte Summe 8 + 5 = 13 angibt und sagt: „Man kann damit keine 10 machen“, wird es falsch bewertet, obwohl der Denkprozess präzise und wahr war.

3. Konditionierung auf unterwürfiges Denken

Durch solche Aufgaben lernen Kinder, dass sie nicht mitdenken, sondern raten oder sogar um die Ecke denken müssen, obwohl noch gar kein Begriff für Ecken vorhanden ist.

4. Frühzeitige Zerstörung des Vertrauens in die eigene Urteilskraft

Ein Schüler, der logisches Denken als Fehler erlebt, lernt:

„Ich verstehe es wohl einfach nicht – besser halte ich mich an die Muster.“
Kognitive Selbstentwertung bereits in der Primarschule.

Das Resultat:
Eine ganze Generation von Menschen, die später als Erwachsene sagen:
„Ich war nie gut in Mathe“ – obwohl sie in Wirklichkeit nur gelernt haben, dass ihre Logik nichts zählt, wenn sie nicht in das didaktische Ratespiel passt.

Kognitive Lernfalle: Synchronisation statt Verstehen – wenn Lernen zur Show der Aufmerksamkeit wird

Speziell anwendbar ist dies in jenen Fällen, wenn Schüler durch Unachtsamkeit im Unterrich die Stelle verpassen, in der der Hinweis für den "richtigen" Lösungsweg gegeben wurde. Wissen wird nicht als logische Struktur vermittelt, sondern als episodisches Fragment, das an eine bestimmte Unterrichtssituation gebunden ist.

Konkrete Folge:

Wenn ein Schüler die entscheidende Bemerkung des Lehrers verpasst, z. B.:

„Heute lösen wir solche Aufgaben mit der Zehnerergänzung!“

…dann fehlt ihm das entscheidende Schlüsselstück, um die Aufgabe zu „entschlüsseln“.

Was das bedeutet:

  • Der Schüler hat möglicherweise das mathematische Verständnis,

  • aber nicht die episodische Einbettung – also den Zugang zur Erwartung der Lehrperson.

  • Die Fehlermeldung gilt aber nicht dem fehlenden Verständnis, sondern dem fehlenden „Folgen“!

Das fördert:

  • Lernverhalten durch Signalerkennung ("Wann kommt der Hinweis?"), nicht durch Verstehen.

  • Konditionierung auf Aufmerksamkeit gegenüber der Lehrkraft, nicht auf den Stoff selbst.

  • Übervorsichtige Schüler, die lieber abwartend statt explorativ vorgehen.

  • Frustration bei klugen, aber unaufmerksamen Kindern – oft sind genau sie es, die querdenken und gleichzeitig leicht abschweifen.

Langfristiger Schaden:

Der Unterricht erzeugt eine Leistungskultur der Synchronisation, nicht der Kognition.

Die Fähigkeit zur unabhängigen Analyse wird entwertet. Stattdessen zählt:

  • Wer hat gut aufgepasst?

  • Wer merkt sich wie der Lehrer denkt?

Die Falle als Intelligenztest – wie sprachlich mehrdeutige Prüfungsfragen zur Legitimation des Lehrers missbraucht werden

Missverständliche Sprache als Selektionsinstrument

Diese Form von Unterrichtsstil wird oft im Nachhinein als Intelligenzprüfung dargestellt – insbesondere, wenn Schüler die gestellte Falle „richtig“ erkennen. In Wahrheit handelt es sich aber nicht um einen Test kognitiver Fähigkeiten, sondern um ein Spiel mit sprachlichen Mehrdeutigkeiten, das lediglich dazu dient, die Autorität des Lehrers abzusichern.

Die Formulierung „make 10 when adding 8 + 5“ ist sprachlich nicht eindeutig. Der Satz klingt zunächst wie eine einfache Additionsaufgabe, enthält aber in Wirklichkeit eine implizite Erwartung:

Finde einen alternativen Rechenweg, der über eine Zwischenstation (10) führt.

Diese Erwartung wird nicht erklärt, sondern vorausgesetzt – und genau das ist der kritische Punkt:

Die Legitimation durch das Etikett "Intelligenz":

Es wird implizit unterstellt:

  • „Ein kluger Schüler sollte das ja merken.“

  • „Das zeigt, wer das Konzept verstanden hat.“

Das bedeutet:

  • Wer den impliziten Pfad findet, gilt als intelligent.

  • Wer logisch und direkt rechnet, aber die didaktische Falle nicht erkennt, gilt als „hat’s nicht verstanden“.

Konsequenz: Pädagogische Täuschung durch vermeintliche Intelligenzdiagnostik

In Wahrheit wird nicht Intelligenz, sondern Synchronisierung mit dem Lehrer-Code getestet.
Der Schüler muss:

  • die Frage umdeuten,

  • implizite Absicht erkennen,

  • den „gewünschten“ Trick anwenden,

  • und das alles, ohne dass es sprachlich oder logisch verlangt wird.

Zynische Realität:

Diese Art der Prüfung ist kein Test der Intelligenz, sondern ein Test darauf,

„ob du denken kannst wie ein Lehrer, der nicht sauber formuliert.“

Es ist eine verdeckte Normierung auf ein bestimmtes Denkmuster – keine Förderung von Verständnis.